17 März, 2008

Ausstellung

Am 13. Februar 2008 habe ich "Bad Manner – 7 Objekte für Datenreisende" anlässlich meiner Diplompräsentation an der Universität der Künste Berlin ausgestellt. Das Diplom, das in Entwurf und Theorie gegliedert war, wurde mit Sehr Gut bewertet.

Ausstellungskonzeption:
Bad Manner gliedert sich in drei Teile:
1. 7 Objekte für Datenreisende, ausgestellt als Prototypen,
2. Referenzfotos aus fremden Quellen und
3. eigene Fotos, die in einem Format von 51 x 34cm gedruckt vorliegen.

Die 7 Objekte für Datenreisende sind auf unterschiedlich hohen Stelen platziert, die neben­einander wie eine Landschaft angeordnet sind. Jedes Objekt wird durch ein Referenzfoto, auf das es Bezug nimmt und eine Beschreibung ergänzt. Eine eigene künstlerische Arbeit bilden die großformatigen Fotos, die die Objekte in einem dokumentarischen Stil in Anwendung zeigen. Die Fotos werden liegend in Kniehöhe präsentiert, so daß der Betrachter auf die Objekt hinab schauen muß. So soll er in die Objektwelt eintauchen, anstatt sie nur distanziert zu betrachten.

Impressionen:
Ausschnitt Stelenaufbau

Präsentation der Fotos im Format 51 x 34cm; Digitaldruck

Vorstellung des Ego-Mirrors durch Ivy Kunze

15 März, 2008

Thema

Ununterbrochen unterbrochen.
Wie digitale Medien unser Verhalten verändern.

Digitale Kommunikationsmittel sind Segen und Fluch zugleich.[1] Sie erleichtern Arbeitsprozesse und den Austausch in zwischenmenschlichen Beziehungen. ­Informationen lassen sich in Windeseile von überall her abrufen. Menschen können schnell, über große Entfernungen hinweg miteinander kommunizieren, sei es per Telefon, E-Mail oder Chat.
Wir haben allerdings noch nicht gelernt, mit diesen unbegrenzten kommunikativen Möglich­keiten umzugehen. Wir lassen uns von neuen E-Mails oder SMS-Nachrichten ablenken und unterbrechen unsere Arbeit, um nachzuschauen, welche aktuellen Weltereignisse zum Beispiel spiegel.de zu berichten hat. Wenn wir einige Tage ohne Laptop und Internetverbindung auskommen müssen, fehlt uns unser liebgewonnener Freund, und wir fühlen uns abgeschnitten von der Welt. Wir brauchen die digitalen Medien, wir sind süchtig danach, im Datenstrom ganz vorn zu schwimmen. Unseren individuellen Wert bemessen wir anhand von Google-Hits [2] und Google-Rankings [3]. Nur wer im World Wide Web Rang und Namen hat, hat dies auch in der realen Welt.
Wir haben Verhaltensweisen entwickelt, die unsere Arbeit uneffektiv und unser soziales Leben oberflächlich machen. Wir sind süchtig nach Information, abhängig von elektronischen Geräten und eitel genug, im Internet alles von uns Preis zu geben. Mit diesen Verhaltensweisen habe ich mich in meiner Diplom­arbeit mit dem Thema „Ununterbrochen unterbrochen – wie digitale Medien unser Verhalten verändern.“ auseinandergesetzt. Entstanden ist die künstlerische Arbeit „Bad Manner – 7 Objekte für Datenreisende“, die uns auf humorvolle, mitunter provozierende Weise mit unserem schlechten Benehmen in der digitalen Welt konfrontiert.

[1] Digitale Kommunikationsmittel bezeichnen hier die sogenannten neuen Medien, die laut Prof. Joachim Sauter auf den vier medialen Qualitäten Interaktivität, Multimedialität, Konnektiviät und Generativität beruhen.
[2] Anzahl der Treffer bei der Suchmaschine google.de
[3] Reihenfolge der Treffer bei der Suchmaschine google.de

14 März, 2008

Grundidee

Bad Manner – schlechtes Benehmen gab es schon in prädigitaler Zeit und stand für Umgangsformen, die der vorherrschenden Auffassung vom Miteinander in einer sozialen Gruppe widersprachen. Adolph Freiherr Knigge verfaßte 1788 die Aufklärungsschrift „Ueber den Um­­gang mit Menschen“, in dem er für Taktgefühl und Höflichkeit im Umgang mit unterschiedlichen Generationen, Berufen und Charakteren votierte. Der Knigge wur­de irrtümlich zum Eponym für Benimmratgeber und steht mittlerweile vor allem für Tischsitten und Kleiderordnungen.

Bad Manner hat zum Ziel mit gestalterischen Mitteln, teilweise unter Einsatz der digitalen Medien, schlechtes Benehmen in der digitalen Welt offen zu legen und zu helfen, schlechte Gewohnheiten im Umgang mit modernen Kommunika­tionstechnologien abzulegen. Dazu habe ich 7 Objekte für Datenreisende entworfen, die die ursprüngliche Nutzung des digitalen Mediums verändern oder gänzlich verhindern.
Bad Manner richtet sich an alle Nutzer digitaler Medien, insbesondere aber an Vielnutzer, die mit Wissen oder Kontakten ihr Geld verdienen [1]. Häufig ist unter ihnen die sogenannte Digitale Bohéme [2] anzutreffen, die jenseits der Festanstellung mittels neuer Technologien ihren Traum vom selbstbestimmten Leben verwirklicht. Für diese Menschen verschmelzen Arbeit und Freizeit miteinander. Sie sind meines Erachtens besonders anfällig für die Tücken digitaler Medien, weil diese sowohl Einkommensquelle als auch Lebensader sind. Die Bezeichnung Datenreisende [3] steht für alle Menschen, die sich auf dem Datenhighway des Internet bewegen.

Titelbild Zitty Berlin, 13/2007, Illustration: Kriki

[1] Laut Zelenka erleben wir derzeitig den Wechsel vom Informations­zeitalter (Information Age) zum Netzwerkzeitalter (Connected Age), in dem Beziehungen zwischen Wissen, Hardware und Menschen geknüpft werden. Zelenka, A., 6.10.2007
[2] Friebe, H., Lobo, S. (2006)
[3] „Die Datenschleuder“, herausgegeben vom Chaos Computer Club trägt den Untertitel „das wissenschaftliche Fachblatt für Datenreisende …“, Chaos Computer Club e.V.

12 März, 2008

Die Objekte

1. "Virgin Thumb"
Der Virgin Thumb verhindert das zwanghafte Bedienen von Mobiltelefonen. Dieser Keuschheitsgürtel für geplagte Daumen hilft dem süchtigen Handynutzer, sich von seinem Lieblingsspielzeug zu entwöhnen.

2. "Handy Muffala"
Mit dem blickdichten Handysack kann man üben, blind SMS zu schreiben. So klappt das heimliche Tippen der SMS-Nachricht beim nächsten Mal schnell und fehlerfrei.

3. "Ego-Mirror"
Der Ego-Mirror spiegelt unsere Bekanntheit im Internet wider. Er zählt auf Anfrage die Anzahl unserer Google-Treffer und gibt sie wie im Märchen Schneewittchen sprachbasiert aus.

4. "Datensauger"
Der Datensauger ist ein Beruhigungssauger für Datenreisende mit USB-Schnittstelle, die unentwegt Dateien aus dem Internet laden müssen. Nur wenn am USB-Nuckel gesaugt wird, können Dateien aus dem Internet geladen werden.

5. "Laptop-Sign"
Das Laptop-Sign ist ein Laptopanhänger, der mit einem Griff alle Kommunikationskanäle ausschaltet. Hängt die Seite mit der Aufschrift "Do not disturb!" außen, sind wir nicht erreichbar. Wollen wir wieder mit anderen Menschen kommunizieren, schalten wir bewußt auf Empfang, in dem wir das Laptop-Sign umdrehen.

6. "Laptop-Schnecke"
Mit der Laptop-Schnecke können wir uns zurück ziehen aus der vernetzten Welt. Das Gewebe schirmt WLAN-Strahlen zu einem großen Teil ab. Wir haben keinen Empfang und keine Hand frei, um ans Telefon zu gehen.

7. "Magic Hanky"
Für Menschen, die täglich mit ihrem Rechner arbeiten, ist ihr Computer ein treuer Freund geworden. Um so dramatischer ist es, wenn er nicht mehr hochfährt. Für diese traurigen Stunden gibt es das Magic Hanky – ein magisches Taschentuch, dass seine Botschaft "In Bytes We Trust" erst vermittelt, wenn darauf geweint wird.

11 März, 2008

Gestalterische Mittel

Die 7 Objekte für Datenreisende sind neue Objekte mit futuristischem ­Charakter, die auf bekannte Objekte Bezug nehmen, so dass gezielt Emotionen, die mit dem urspünglichen Objekt in Verbindung ­stehen, evoziert werden. Die Objekte sind narrativ, das heißt sie erzählen eine ­Geschichte.
Die Objekte haben modellhaften Charakter. Ihre Form und Funktion werden symbolhaft andeutet, ihre Bedeutung steht jedoch im Mittelpunkt.
Obwohl Bad Manner das hintergründige Ziel verfolgt, unsere schlechten Ge­­wohnheiten im Umgang mit digitalen Medien abzulegen, soll es vordergründig den Betrachter amüsieren und ihm ein überraschendes Erlebnis bereiten. Aus diesem Grund beinhalten alle Objekte eine ironische Komponente. Sie überspitzen Bekanntes und stellen neue unerwartete Zusammenhänge her. Ich betrachte meine Entwurfsarbeit als Awareness-Design – Design, das sensibilisert und Bewußtsein schafft.
Besonders wichtig ist mir die sinnliche Erfahrung über das bloße Sehen hinaus. Der Betrachter soll die Objekte in die Hand nehmen, sie ausprobieren, sie hören, fühlen und ertasten. Nur so werden gespeicherte Erinnerungen wach gerufen, und können die Objekte verstanden werden.
Um einen Kontrast zu setzen zu der Welt der Überreizung und Ablenkung, haben alle Objekte die Farbe Weiß. Weiß steht für das Reine und Gute und stellt somit einen direkten Gegensatz zu unseren schlechten Gewohnheiten dar.

10 Februar, 2008

"Virgin Thumb"

Hintergrund
Seit Erfindung des Smartphones, das Telefon, Terminkalender, Adressbuch, Notizblock und Taschenrechner in einem ist, sind wir ständig dabei, Nachrichten per SMS oder E-Mail um die Welt zu jagen. Der bekannteste Vertreter ist das BlackBerry. Dieses Multifunktionsgerät birgt ein großes Suchtpotential und brachte dem schlauen Handy den Spitznamen CrackBerry ein. [1] Wo wir gehen und stehen, schauen wir mal kurz nach, ob eine wichtige Nachricht eingetroffen ist oder doch nur ein Angebot, kostengünstig Valium übers Internet zu bestellen. Kaum ein Treffen mit Kollegen oder Freunden vergeht, wo wir nicht heimlich auf den Minitas­ten unseres Smartphones rumdrücken und nur mit halben Ohr bei unserem Gesprächspartner sind.
Unsere Daumen werden dabei so stark einseitig beansprucht, dass sie zu schmerzen be­ginnen. Eine Sehnenscheidenentzündung stellt sich ein. Der BlackBerry-Daumen gehört mittlerweile zu den modernen Zivilisationskrankheiten. Trotzdem können wir von unserem kleinen schwarzen Freund nicht lassen.

Idee
Um unsere Handy-Sucht zu kontrollieren, gibt es jetzt den Virgin Thumb. Dieser Daumenschuh aus weichem, weißen Leder verhindert das zwanghafte Navigieren [2] auf kleinen Tasten. Unsere Daumen können sich erholen, und wir können uns vom Blackberry entwöhnen.


Däumling im SM-Design; Die doppelte Daumenschraube mit verstellbarem Gurt; © Illustration Ivy Kunze


Referenz
Der Virgin Thumb soll in Form und Zweck an den Keuschheitsgürtel erinnern. Diese Vorrichtung, die verstärkt im 18. Jahrhundert aufkam, sollte das Masturbieren von Knaben verhindern. Zu dieser Zeit setzte eine beispiellose, von christlichen Motiven geprägte Anti-Onanie-Kampagne ein [3]. Trotz zunehmend aufgeklärten Ansichten wurde Masturbation als Krankheit verpönt und bezichtigt, Schwachsinn und körperlichen Verfall hervor zu rufen.
Antimasturbationsschriften, wie „Onania oder die erschreckliche Sünde der Selbstbefleckung, mit allen ihren entsetzlichen Folgen“ (1736) oder „Von der Onanie, oder Abhandlung über die Krankheiten, die von der Selbstbefleckung herrühren“ (1776) [4] erschienen. Darin wurden Ärzte und Eltern angewiesen, Maßnahmen zu ergreifen, das „Leiden“ zu verhüten. Sinnreiche Vorrichtungen, insbesondere Bandagen und Keuschheitsgürtel sollten die Jugendlichen davor „schützten“, sich „selbst zu beflecken“.[5]
Der zwanghafte Gebrauch mobiler Endgeräte kommt einer digitalen Onanie gleich. Diese führt zwar genauso wenig wie die geschlechtliche Onanie zu Krankheit und Irrsinn, wohl aber zu fehlender Aufmerksamkeit und gestörter Konversation. Der Virgin Thumb hilft uns, für einen Augenblick im Mobilfunkverkehr keusch zu bleiben.

Referenz: Keuchheitsgürtel für Knaben


Realisierung
Der Virgin Thumb wurde aus weichem, weißem Leder nach meinem Entwurf in der Lederwerkstatt Leathers gefertigt. Der Däumling wurde mit kleinen und große Nieten besetzt, um das Drücken kleiner Handytasten zu erschweren. Ich entschied mich, beide Daumen mit einem Daumenschuh zu versehen, denn nach meiner Beobachtung benutzen manche Menschen beide Daumen zum Navigieren der Tasten. Anderen wird die Möglichkeit genommen, auf den anderen Daumen auszuweichen.
Die Daumenschuhe sind am Handballen mit Schnallen verstellbar und über eine Schlaufe miteinander verbunden, um sich verschiedenen Konfektions­größen anzupassen.

"Virgin Thumb", Daumenschuh aus Leder mit Nieten und Schnallen, © Ivy Kunze

"Virgin Thumb" in Anwendung, © Ivy Kunze, Digitaldruck, 51 x 34cm

"Virgin Thumb" in Anwendung, © Ivy Kunze, Digitaldruck, 51 x 34cm


[1] Meckel, M. (2007)
[2] Zwangsstörung: Obsessive Compulsive Disorder, Vgl. Interview mit McEwen, B. In: Wirtschaftswoche, 3.4.2007
[3] Braun, K. (1995)
[4] Goltzsche, S. (2002)
[5] Haeberle, E. J. (1978)